CD Rezension „Geshray fun der Vilde Kachke“ Bockkeller (Deutsch)

Bockkeller Juni – August 2020

CD „Geshray fun der Vilde Kachke

2019 non food factory

Bevor ich beginne, oute ich mich: Ich bin ein Fan. Keiner zu sein fällt schwer. Frontfrau Deborah „Scheiny“ Gzesh gelingt es, gemeinsam mit ihren All Stars Martina Cizek (Saxophon), W.V. Wizlsperger (Bass, Euphonium), Muamer Budimlić (Akkordeon) und Paul Skrepek (Schlagzeug, Perkussion) eine Cabaretbühne in mein Wohnzimmer zu zaubern. Traditionelles steht dabei neben swingender jiddischer Tanzmusik aus der 1930er bis 60er Jahren sowie aktuellen Stücke. Die Lieder fesseln, machen auch gute Laune und lassen mitunter auch das Tanzbein fröhlich schwingen. Dazu muss ich immer wieder laut auflachen. Auch wenn ich die jiddischen Texte schwer verstehe, ihre Interpretation und die Musik, schaffen es sofort, mich in ihren Bann zu ziehen. Wobei ich in weiterer Folge den Ehrgeiz entwickle dahinter kommen zu wollen worum es geht. Gute Anhaltspunkte bieten jene Stücke, die auf Yinglish – eine Mischung aus Jiddisch und Englisch – erzählt werden. Angeregt durch das eine oder andere Wort das ich verstehe, bekomme ich eine Vage Vorstellung davon, wovon die Rede ist so etwa bei den Titeln „Tsi Shpait“ (tr. 10) oder „Ain Kik auf dir“ (tr. 9) oder ganz leicht „Kiss of Meyer“ (tr. 13). Schwieriger wird’s dann etwa bei „Geshray fun der Vilde Kachke“ (tr. 3). Dr. G**gle hilft und klärt mich auf, die Übersetzung lautet „Geschrei von den Wildgänsen“. Berührende Einblicke finde ich bei meinen Nachforschungen zur wunderschönen Ballade „Ikh shtey unter a Bokserboym“ von Ziame Telsin (sic) (tr. 5). Bäume haben im Jiddischem häufig eine symbolische Bedeutung, so soll der Johannisbrotbaum (bokserboym) als Metapher für Immigration stehen. Herausgerissen wird man aus dieser poetischen Stimmung in der Folgenummer „Questch das Knepl“ (tr. 6) von Kobi Oz, in der energisch (und ironisch) das Auslösen der Atombombe beschworen wird und, „Hudl mitn Strudl“ (tr.8) macht dann unglaublichen Spass. Die 13 verschiedenen Geschichten die hier erzählt werden zeugen von der Wandlungsfähigkeit ihrer Interpretin und der feinsinnigen Musikalität ihrer BegleiterInnen: humoristisch, verträumt, clownesk, brachial – mal in samtig weichen Timbre gesungen, mal geschrien – und dabei immer auf den Punkt. Es ist eine grosse Kunst, Kleinkunst nur über das Ohr erlebbar zu machen. Wenn das schon so prächtig gelingt, wie grossartig ist dann wohl das Liveerlebnis? Gönnen Sie sich beides. Ich tu’s bestimmt. Absolute Empfehlung. JL